Versuche, dich selbst zu lieben!


Wer bist du?

 

S., Studentin, 22 Jahre alt, aus Niedersachsen

 

Wann fing Skin Picking bei dir an?

 

Als ich ungefähr 12 Jahre alt war. Zu dem Zeitpunkt, als ich auch eine unreine Haut bekommen habe.

 

Gab es dafür einen bestimmten Auslöser, eine bestimmte Situation?

 

Wenn ich ganz ehrlich bin, dann glaube ich, dass das mit meiner familiären Situation zusammenhing. Es gab wirklich eine bestimmte Situation, in der ich damit angefangen habe. Es war nicht immer leicht zuhause. Meine Mutter hat uns oft über Tage und Wochen verlassen, weil sie Angst vor meinem Vater hatte – besonders, wenn er getrunken hat. Wenn sie nicht da war, hat er seine Aggressionen an mir ausgelassen.

 

Ich habe mich, wenn ich konnte, im Badezimmer eingeschlossen. Dort habe ich manchmal sogar die ganze Nacht verbracht. Ich war dort zwar sicher vor ihm, aber nicht vor mir selber. Das ist mir erst Jahre später aufgefallen. Ich habe angefangen, aus Angst, Kummer und Stress in den Spiegel zu sehen und die vielen Stunden damit verbracht, irgendwelche Unreinheiten zu entfernen. Schon damals habe ich mir blutende Wunden zugefügt.

 

Wie sehr hat Skin Picking dich und dein Leben bestimmt?

 

Es hat mein Leben enorm bestimmt. Ich konnte mich bei Familie, Freunden oder dem Partner nie so richtig fallen lassen. Ich habe mich selber als ekelig empfunden und gedacht, dass die anderen das sicher auch tun. Als ich angefangen habe, mir das Gesicht aufzukratzen, habe ich auch gleichzeitig versucht, die Wunden mit viel Make-up zu verdecken. Es sah schrecklich aus. Ich konnte viele Dinge nicht machen, weil ich Angst hatte, dass meine "Maske" das nicht aushält.

 

Nebenbei hatten sich auch über die Jahre Narben gebildet - durch diese habe ich mich wirklich hässlich gefühlt. Ich war immer wieder damit beschäftigt, diese Flecken wegzubekommen. Habe mein Taschengeld für Reinigungsprodukte ausgegeben, anstatt mit Freunden ins Kino zu gehen. Habe Narbencremes ausprobiert und fast jedes neue Make-up, das auf den Markt kam.

 

Es hat so lange gedauert, bis ich endlich begriffen habe, dass mein Problem nicht die Pickel oder die Narben sind - das eine hat mich zwar dazu verleitet zu drücken und das andere war das Ergebnis davon. Aber in Wirklichkeit war ich es selber, die mir im Weg stand.

 

An welchen Körperstellen, kratzt, drückst und knibbelst du?

 

Nur im Gesicht. Nur da hatte ich Unreinheiten, an denen ich kratze. An eingewachsene Haare oder Unebenheiten woanders am Körper gehe ich nicht.

 

In welchen Situationen kratzt, knibbelst und drückst du?

 

Auf jeden Fall oft aus Langeweile. Und mir ist mal aufgefallen dass ich das auch oft gemacht habe, wenn ich nicht schlafen konnte oder gerade aus einem Alptraum aufgewacht bin. Natürlich auch, wenn ich Stress habe oder Angst. Aber am meisten habe ich es bisher beobachtet, wenn ich Langeweile hatte.

 

Hast du jemanden ins Vertrauen gezogen?

 

Mein Freund war der erste, mit dem ich darüber geredet habe. Ich denke, das habe ich getan, weil ich vorhabe, den Rest meines Lebens mit ihm zu verbringen. Naja, und von all den Männern, mit denen ich zusammen war, hat er mir am meisten den Eindruck vermittelt, dass er mich versteht und helfen kann. Irgendwann habe ich zwar auch mit meiner Mutter darüber geredet. Und in meiner letzten Therapie habe ich es angesprochen.

 

Wie sind deine Familie, Freunde und Kollegen damit umgegangen?

 

Ich kann mich daran erinnern, dass mein Vater oft gesagt hat, dass ich so komische Flecken im Gesicht hätte und das nicht schön aussehe. Meine Mutter hat früher nie was gesagt, allerdings gehört sie auch zu den Menschen, die lieber still sind, wenn sie nichts Nettes zu sagen haben. In der Oberschule wurde ich manchmal gefragt, warum ich soviel Make-up benutze. Freunde von mir haben mich nie darauf angesprochen. Ich glaube, die haben nur mal gefragt, ob ich ein Problem mit Pickeln hätte und ob ich schon mal das neue Reinigungsgel Soundso probiert hätte usw.

 

Wann und wie hast du erfahren, dass dein Verhalten Skin Picking heißt?

 

Das war vor fast einem Jahr. Ich weiß noch, dass ich zuhause saß und mich seit Wochen nicht mehr gekratzt hatte. Und dann ist es auf einmal passiert (Langeweile). Ich war am weinen und konnte meinen Freund nicht erreichen. Da habe ich verzweifelt "Pickel blutig kratzen" bei Google eingegeben - tja, und das hätte ich schon viel früher machen sollen.

 

Was hast du dann getan?

 

Ich habe mich beobachtet bis zum Gehtnichtmehr. Alles, was ich fühle, was ich denke, wie ich mich sehe, wie ich gerne wäre. Wann ich in den Spiegel sehe, ob ich klar komme ohne Spiegel oder Licht im Bad. Ich habe mich bei einem Hautarzt gemeldet, um ein Salicyl-Peeling zu machen, damit die Narben weggehen (hat wirklich funktioniert - ich danke dem Hautarzt und dem Peeling!). Ich habe alles mögliche ausprobiert, viel im Internet über Dermatillomanie gelesen und das erste Mal in meinem Leben darüber nachgedacht, dass ich in Wirklichkeit unter mir selber leide und nicht unter den Hautunreinheiten oder Flecken.

 

Welche Therapie hast du gemacht? Hat es dir geholfen?

 

Eigentlich wollte ich eine Gruppentherapie machen mit anderen, die in ihrer Kindheit Gewalt und Missbrauch erlebt haben. Ich bin dann aber in einer normalen Einzeltherapie gelandet. Dort habe ich zwar Dermatillomanie erwähnt, aber die Therapeutin konnte mir deswegen nicht helfen. Sie war halt auf andere Dinge spezialisiert. Trotzdem hat die Therapie geholfen - ich kann mich heute mehr annehmen und weiß, dass ich wertvoll bin.

 

Bist du geheilt?

 

Ich denke nicht. Aber das ist auch schwer zu sagen. Ich frage mich immer, ab wann man eigentlich sagen kann, dass man davon wirklich weg ist. Ich habe es viele Monate ohne Drücken und Kratzen geschafft und dann kam ein Rückfall durch ein schlimmes Erlebnis. Ich glaube, dass leider immer Gefahr besteht, wieder ins alte Muster zu fallen. Wenn man wirklich geheilt werden kann, dann denke ich, dass ich nah dran bin.

 

Wie gehst du heute mit Skin Picking um?

 

Da ich jetzt weiß, was es wirklich ist, kann ich damit besser umgehen. Ich weiß, dass ich das nicht wirklich mit Absicht mache und vor allem weiß ich, dass ich nicht hilflos dagegen bin. Ich nehme Dermatillomanie ernst und achte nun mehr auf meinen Körper und mein seelisches Wohlbefinden.

 

Was hilft dir an Internet-Foren besonders?

 

Zu lesen, dass andere Ähnliches oder Gleiches wie ich erleben. Früher habe ich mich oft als "anders" betrachtet. Als kein vollwertiger Mensch. Im Forum lese ich, wie andere Leute schlimme Phasen haben. Dass sie auch verzweifelt sein können. Und - das Wichtigste für mich - ich lese immer wieder, wie sie nicht aufgeben. Das stärkt mich sehr.

 

Was hilft deiner Erfahrung nach gut gegen Skin Picking?

 

Am meisten hat mir geholfen, mit jemanden darüber zu reden. Dass jemand mich sieht nach einer Attacke und dass ich sehe, dass dieser Mensch mich trotzdem annehmen kann.

 

Dann hat mir persönlich noch sehr geholfen zu lernen, wie man mit Pickeln richtig umgeht. Also wie man sie richtig ausdrückt, oder dass man auch nicht jeden Pickel ausdrücken muss.

 

Und es hilft auch sehr, seinen Körper als schön wahrzunehmen. Das kann man z.B. durch einen Besuch beim Fotografen. Oder wenn man sich etwas sehr Schönes zum Anziehen kauft oder Sport macht. Selbstbewusstsein aufbauen ist eines der wichtigsten Dinge gegen Dermatillomanie.

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

 

Egal wo du dich kratzt, egal wie viele Narben du dir schon zugefügt hast: Du bist ein wunderschöner und wertvoller Mensch.

Versuch, dich selbst zu lieben und dir für deine Fehler zu vergeben. Dann wirst du auch sicher anfangen, dir selber weniger weh zu tun.

 

(Februar 2011)

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