Ekelhaft!


Von T., Studentin
Ekelhaft! Das ist der einzige Gedanke, der mir in den Kopf kommt, wenn ich mein Gesicht im Spiegel betrachte. Ekelhaft! Wie ist es möglich, dass ich mir selber so etwas antue? Warum kann ich nicht aufhören, obwohl ich doch weiß, wie schlecht das alles ist?
 
Ich weiß nicht mehr genau, wann Skin Picking bei mir angefangen hat. Ich denke, dass es mit der Pubertät kam. In der 5. und 6. Klasse bekam ich noch Komplimente für meine super reine und feinporige Haut und auf einmal bemerkte ich kleine schwarze Punkte auf meiner Nase. Und so ging es los. Diese schwarzen Pünktchen wurden stundenlang vor dem Spiegel bearbeitet, bis meine Nase komplett rot war und Mitschüler wie auch Nachbarn immer häufiger Bemerkungen über meine rotgefleckte Nase machten.
Zum damaligen Zeitpunkt fand ich das noch nicht so schlimm. Mir wurde erst bewusst, wie hässlich das aussieht, als ich ein Foto von mir sah. Ich weiß noch genau, wie ich mich für dieses Foto geschämt habe, es an mich genommen habe und zerrissen habe, damit es keiner mehr sehen konnte. Danach ließ ich mein Gesicht vorerst in Ruhe. Andere Stellen wie Kopfhaut oder Füße wurden bearbeitet. Ich brauchte einfach immer irgendwas zum Knippeln. Es ist krankhaft, wie eine Sucht!
 
Zu dem Zeitpunkt wusste ich natürlich nicht, dass es so etwas wie Skin Picking gibt. Dann kamen gute und wieder schlechtere Zeiten. Eine Weile mussten meine Lippen sehr stark darunter leiden, bis meine Schwester irgendwann meinte: „Du hast die ekeligsten Lippen auf der Welt! Wer will dich denn noch küssen!“ Das brachte mich zur Vernunft und ich ließ meine Lippen vorerst in Ruhe.
Extrem verschlechtert hat sich das alles vor gut einem Jahr. Ich war verzweifelt, wusste nicht warum ich mit Anfang zwanzig noch so eine Problemhaut hatte, da ich doch schon aus der Pubertät raus war. Ich verbrachte Stunden vor dem Spiegel, abends war es besonders schlimm. Ich suchte mein Gesicht mit einer Taschenlampe nach Unreinheiten ab. An noch so kleinen Erhebungen wurde rumgedrückt und gekratzt, mit Pinzetten mit Nadeln, um auch ja alles aus der Haut rauszubekommen.
Die Erleichterung ist groß, wenn endlich das, was sich unter der Haut befindet, an die Oberfläche tritt. Ein Erfolgserlebnis. Die Frustration ist umso größer, wenn der Schmutz einfach nicht rauskommen will. Dann wird gestochen, gedrückt, gequetscht, bis man doch irgendwann aufgeben muss. Das Gesicht ist rot, angeschwollen, man fängt an zu realisieren, was man sich da gerade selbst angetan hat.
Und jedes Mal habe ich gehofft, dass alles bis zum nächsten Morgen wieder verheilt ist, was natürlich nicht der Fall war. Dann habe ich versucht, mit Cremes den Wunden noch was Gutes zu tun, bevor ich ins Bett gehe. Manchmal muss ich nochmal aufstehen, um mein Gesicht im Spiegel anzuschauen. Weil es mir keine Ruhe gibt und ich einfach nicht einschlafen kann, bevor ich den Schaden ein weiteres Mal analysiert habe.
Und nachts verfolgt es mich in meinen Träumen. Ich träume davon, wie ich mit vernarbtem Gesicht von anderen Leuten verstoßen und ausgelacht werde. Das ist schlimmer als jeder andere Alptraum und macht mir so viel Angst.
 
Nach einem sehr starken Picking-Anfall habe ich „zwanghaftes Pickelausdrücken“ gegoogelt und bin auf dieser Seite gelandet. Das Gefühl, das ich in diesem Moment hatte, kann ich schwer beschreiben. Ich habe geheult, weil ich nun wusste, dass ich nicht allein mit diesem Problem bin. Weil ich die ganzen Geschichten so gut nachvollziehen konnte, aber auch weil ich gedacht habe: Warum muss mir das passieren?!
 
Durch Skin Picking habe ich das Gefühl, in meinem Leben so viel zu verpassen. Ich gehe ungern in die Stadt, da ich Angst habe, dass Leute mir zu nahe kommen und die Wunden unter dem Make-up erkennen können. Außerdem habe ich das Bedürfnis, ständig in den Spiegel schauen zu müssen um zu kontrollieren, ob alles noch gut unter dem Make-up versteckt ist. Ich hasse es, mich an Plätzen aufzuhalten, an denen es viel Licht gibt. In Bars oder Restaurants suche ich mir immer die dunkelste Ecke aus.
Das Licht in Bussen oder Bahnen hasse ich am meisten, das ist so grell und ich fühle mich so unglaublich unwohl darin. In Clubs und zum Sport gehe ich ungern, weil man dort schwitzt und das Make-up verläuft. Ständig muss ich Ausreden erfinden, warum ich nicht in die Vorlesung kommen kann oder Treffen absage. Ich erfinde Krankheiten und Symptome. Manchmal erfinde ich sogar Leute, mit denen ich mich treffe und deshalb spontan Termine nicht wahrnehmen kann. Allerdings sitze ich nur in meinem Zimmer, traue mich nicht raus und will am liebsten nur schlafen.
 
Mein größter Wunsch ist es, einfach unbeschwert zu leben, sich keine Gedanken mehr machen zu müssen, einfach frei zu sein von diesem Zwang. Ich möchte am Leben teilhaben, es genießen können! Ich bin der festen Überzeugung, dass ich so viel mehr in meinem Leben erreichen könnte, wenn ich endlich mit Skin Picking aufhören könnte.
(Juli 2015)
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